Silvia Brockfeld - Malerei


Texte von: 

Dr. Rainer Bessling: Hide and Seek

Martin KoroschaSwinging Colours

Angela Piplak: Memory

Barbara FiggeKoloraturen

_______________________________________________________________de Hide and Seek

Rede zur Ausstellungseröffnung von Dr. Rainer Beßing 

GaDeW Bremen, 2020

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 Milonga del Angel heißt eine Komposition des argentinischen

 Bandoneon-Spielers und Komponisten Astor Piazolla. Das Stück hat

 Silvia Brockfeld zu einem Bild inspiriert, das hier gegenüber dem

 Eingang hängt. Die Milonga ist eine Tanzliedform, die dem Tango

 vorausgegangen ist und als dessen eher heiteres Gegenstück gilt. In

 dem Begriff liegt die Bedeutung „Wörter“, die auf die improvisierten

 Gesänge der Gauchos verweist, die aber auch auf den

 sprechenden Duktus und den Gesprächscharakter der Musik hindeutet.  

 In Piazollas berühmter Milonga sucht die Melodiestimme des

 Bandoneons tastend ihren Weg. Flankiert wird sie von antwortenden

 und stützenden Akkorden des Klaviers oder der Gitarre. Hinzu kommen

 Streicher, die mit Klangflächen den Raum einfärben. Ein steter, aber

 sanfter Grundpuls wird bisweilen aufgelöst, so als hielten die

 musikalischen Akteure inne, so als schauten sie fragend nach vorn und

 hinter sich, als prüften sie mögliche Abzweige. Manche Momente wirken

 licht und offen, manche dichter und verwoben. Ruhige harmonische

 Konstellationen wechseln mit reibungsvollen dramatischen

 Zuspitzungen ab. Die Melodie erscheint wie ein Individuum, das in die

 Welt ausschreitet, sich mit ihr austauscht und sich selbst in

 wechselnden Facetten begegnet, eine melancholische Odyssee.

 

 Silvia Brockfeld greift dieses Geschehen mit den Elementen der

 bildnerischen Gestalt auf und schafft damit eine eigene visuelle Realität.

 Linien schlängeln sich durch die Mittelachse des Bildes. Sie markieren in

 unterschiedlicher Strichdicke und Dichte kurvig einen Weg und eine

 Bewegung. In ihrem Gang durch den Raum umfahren sie Flächen und

 umreißen Figurationen. Doch mehr noch als die äußere Form teilt sich

 von innen strömende Energie als ein Bündel von Kraftlinien mit. Es

 dokumentiert im blutvollen, leidenschaftlichen Rot die gestische Präsenz

 des tastend tanzenden Körpers. Die pyramidenförmig zum Bildzentrum

 strebende und dieses stützende Spurenbahn steigt auf und weist

 zugleich in die Tiefe. In der oberen Bildhälfte, die von zwei

 transparenten, sphärisch blauen Flügelformen gerahmt wird, löst sich

 das farbsatte Schlingengewebe in einem diffusen Schleier auf. So wie

 sich hier Stofflichkeit an der Basis und Immaterialität in der Höhe

 gegenüberstehen, zieht sich durch das ganze Bild eine untergründige

 Ebene, aus der es zu brodeln und zu sprudeln scheint, die Linien,

 Formen und Farben an die Oberfläche spült, freigibt und wieder

 hinabzieht. Ein schwimmender und schwebender Raum, in dem sich

 Erscheinung und tieferer Quellbezirk, fester Körper und fließende

 Ursuppe, permanenter Strom und singuläre Gestalt austauschen. Durch

 das dichte Liniengewebe hindurch mobilisiert sich die unbestimmte

 Kraft des Grundes.


 Das Bild eröffnet diese Ausstellung und ich gehe deshalb ausführlicher

 darauf ein, weil es zentrale Elemente von Silvia Brockfelds malerischer

 Sprache und Vorgehensweise repräsentiert. Es sind die drei prägenden

 bildnerischen Grundelemente, die auf eine spannungsvolle Weise offen

 und wie auf Augenhöhe miteinander korrespondieren und bei denen

 sich kaum sagen lässt, welches am stärksten auffällt und wirkt. Ist es

 die Farbigkeit, die bei aller offensiven Präsenz und Eindringlichkeit nicht

 in äußerliche Überflutung kippt und die stets noch die Bindung an eine

 innere bewegte Bildbalance hält? Oder ist es das lineare Geschehen,

 das sich durch die Kompositionen zieht? Wuchernde, anwachsende,

 ausschwärmende, sich verwirbelnde, sich durchdringende und

 überlagernde Farbbahnen, die Richtungen einschreiben, Rhythmen und

 Dynamik formulieren. Oder sind es die Farbflächen, die von den Kurven

 umrissen werden, die als Bezirke mit unterschiedlichen Temperaturen

 und Atmosphären korrespondieren und die stärksten Kraftfelder in den

 Grenzbezirken und Übergängen, in den zahlreichen Begegnungszonen

 entstehen lassen?

 

 Ich denke, es ist gerade das spezifische Zusammenwirken dieser

 Elemente, in dem Silvia Brockfelds Kunst fußt. Es ist das freie

 Ausschwärmen der Linien, die keine Figurationen konturieren wollen,

 sondern wie im Nebeneffekt Flächen schaffen. Es sind Linien, die aus

 einem Eröffnungsimpuls heraus einen Verlauf nehmen, der sich im

 Dialog mit der anwachsenden Gestalt, im Wechsel von spontaner Aktion

 und Reaktion, von Intuition und Kontrolle, von organischem Wuchern

 und kompositorischer Übersicht vollzieht und dabei eine Handschrift

 entstehen lässt. Es sind Linien und Formen, die Verläufe und Orte im

 Bild markieren und damit die unterschiedlichsten Strukturen,

 Konstellationen und Empfindungslagen hervorrufen. Sie gleiten

 ineinander, schmiegen sich an, stoßen aneinander, wehren sich ab oder

 greifen über.

 

 Wenn uns die Flächen und Figurationen teils an eine außerbildliche, vor

 allem vegetabile Wirklichkeit erinnern, dann vielleicht deshalb, weil sich

 in vielen pflanzlichen Formationen das Wachsen und Werden, die

 Energien und Bewegungskräfte geradezu sichtbar raumgreifend in die

 äußere Erscheinung umgestülpt haben, weil sich das Wurzelwerk auf

 das Geäst hin transformiert. Die kurvigen organoiden Formen lassen die

 Räume in Silvia Brockfelds Bildern in einer Dauerbewegung und in stets

 neuen Konstellationen und Resonanzen erscheinen. Es finden sich

 verschiedene Zentren. Die Perspektiven und Verläufe wechseln,

 manchmal dreht die Künstlerin während des Werkprozesses auch das

 Bild, so dass sich das Bildgeschehen in verschiedene Richtungen

 erstreckt und für die Struktur und die Lesart eine maximale Offenheit

 behält. Die „hängenden Gärten“ verweisen auf ambivalente

 Richtungsverläufe und wechselnde Fluchtpunkte.

Das ganze erinnert ein wenig an Kants Definition, der Raum sei die

 Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen und der Möglichkeiten

 ihres Zusammentreffens. Zugleich ist der Raum das Gefäß unserer

 Anschauungs- und Empfindungsmöglichkeiten. Diese Potenzialität als

 vitaler Dauerstrom an einer offenen traumversunkenen Ortlosigkeit wird

 in diesen Bildern geradezu greifbar. 

 

 Kaum nötig zu betonen, dass es der Bremer Malerin in den hier

 ausgestellten Bildern nicht um eine Darstellung oder gar Abbildung

 einer sichtbaren dinglichen äußeren Wirklichkeit geht - auch wenn sich

 in ihren früheren Arbeiten realistische und figürliche Bezirke finden

 lassen. In den neueren Bildern stehen die bildnerischen Mittel und

 Elemente selbst im Zentrum. Die Künstlerin setzt auf ein

 ergebnisoffenes, experimentelles Vorgehen, bei dem Linien, Formen

 und Farben gefunden, erfunden, kombiniert, akzentuiert, verworfen,

 verfremdet und so lange variiert werden, „bis sie sich in einem fragilen

 Gleichgewicht niederlassen und eine Allianz miteinander eingehen“, wie

 die Malerin selbst schreibt. Der mögliche Wandel und die Verschiebung

 der Wirklichkeiten bleiben ihnen immanent.


 Dieses Vorgehen führt zu der Dichte und Vielschichtigkeit der Bilder,

 zumal Formen, die zu eindeutig sind und zu suggestiv erscheinen,

 wieder verborgen werden, das heißt: überlagert, fragmentiert oder mit

 anderen Elementen verbunden. Dass die Malerin in vielen Bildern Musik

 als Referenz und Impuls wählt, ist in der Abstraktheit und

 Selbstbezüglichkeit der musikalischen Sprache begründet, die ihre

 semantische Bedeutung allein aus den formalen Qualitäten schöpft.

 Silvia Brockfelds Bilder sehen wie Musik hören, Rhythmen, Melodien,

 Klänge, Akkorde aufspüren und auf der sinnlichen Ebene wahrnehmen,

 die Schwingungen in den grafischen Verläufen und farbigen Flächen

 wirken lassen, die Bildraum auch als Zeitereignis erleben mit

 Wiederholung und Wandel der Motive, als Folge und Schichtung, als

 Prozess von Werk und Wahrnehmung, das wäre ein Zugangsweg.

 Längst ist die Malerei ja nicht mehr nur Raumkunst oder

 Flächengeschehen, sondern auch Zeitkunst, der eine Genese, ein

 Vorher und Nachher ablesbar ist.

 

 Mit ihrem ästhetischen Konzept und ihrem künstlerischen Vorgehen

 erinnert Silvia Brockfeld an Informel und Surrealismus, die beide von

 einem wirkungsreichen Dasein unter der Oberfläche ausgingen. Sie

 trauten  der Kunst zu, unter bestimmten Voraussetzungen in diese

 Schicht vorzudringen. Sie trauten ihr zu, unterhalb der

 Bewusstseinsebene und der dinglichen Oberfläche in Automatismus und

 Kontrollauflösung eine bildhafte Wirklichkeit hervorzubringen, die an die

 Grundlagen von Existenz und ihrer Reflexion heranreicht - wahre

 Erkenntnis bietet sich nur hinter der Erscheinung.

So wie sich der Mensch seit der Psychoanalyse nicht mehr als Herr im

 eigenen Haus, sondern am Gängelband der Triebe sehen konnte und

 wie er seit der Traumdeutung seiner Nachtseite erhöhten Einfluss auf

 sein Handeln zugestehen musste, richtete auch die Kunst ihre

 Aufmerksamkeit zunehmend auf Unter- und Abgründe. Selbst dem

 Autorensubjekt war nicht mehr zu trauen, zu zahlreich und vielschichtig

 die Einflüsse, die seinen Blick trüben. Also galt es Verfahren zu finden,

 an sich selbst, an den eingeübten Gewohnheiten und an einer allzu

 vertrauten Offensichtlichkeit vorbei zu agieren. Wenn Silvia Brockfeld in

 ihrer Reihe „Mit links“ Arbeiten zeigt, die aufgrund eine Zwangslage mit

 der linken Hand entstanden sind, dann erinnert auch das an bewusste

 Verfahren der Surrealisten oder auch der Informellen, Kontrolle und

 eingeübte Technik auszuschalten, an Anfänge und Ursprünglichkeiten

 zurückzugehen, den Körper unbeherrscht agieren zu lassen. Silvia

 Brockfelds Malerei „mit links“ wirkt leicht und zart, sehr poetisch und

 fragil, fern von jeder Festschreibung und doch präsent in ihrer luziden

 und zugleich schwebenden Farbformgebung.  


 Hier erschließt sich nun auch der Titel dieser Ausstellung, der weit mehr

 anspricht als das kindliche Versteckspiel - wobei das Spielerische

 wesentlich zum künstlerischen Selbstverständnis der Bremer Malerin

 gehört, ist das absichtslose, zweckfreie, von Nützlichkeitsdenken

 unbelastete Spiel zwischen Regel und Zufall doch die Grundlage aller

 Kultur. Hide and seek, das ließe sich geradezu als Beschaffenheit der

 Welt, als Lebensmodus, als künstlerisches Vorgehen und als

 Wahrnehmungsweise begreifen. Alles ist gegeben in einer

 Doppelexistenz aus Verbergen und Offenbaren. Wir streben danach,

 Dinge zu entdecken und zu erschließen, genauso verstecken wir

 Gegenstände und Gedanken, Wirklichkeiten und Wahrheiten, nicht

 zuletzt Teile von uns selbst. Rätsel reizen, Geheimnisse locken,

 Verstecktes gewinnt an Wert. Wir identifizieren die verborgenen Welten

 als Betriebsraum der Realität und suchen deshalb nach ihren

 Schlüsseln.

 

 Silvia Brockfeld zieht in ihre Werke Doppelbödigkeiten und

 unterschiedliche Wirklichkeiten ein. Sie folgt dem Wechselspiel von

 Verstecken und Suchen. Sie lässt sich bei der Suche treiben, verknüpft

 Konzentration mit Assoziation, schwärmt aus und bündelt, probiert aus

 und legt sich fest, harmonisiert und kontrastiert, verbindet Geste mit

 Gedanken, verwebt und lässt lose Fäden stehen. Ihre Bilder halten nicht

 nur Tiefenschichten bereit, sie umreißen auch offene Felder, in der

 potenziell wechselnde Konstellationen temporäre Verbindungen

 eingehen. Sie scheinen alles zu tun, einem Ziel aus dem Weg zu gehen.

 Das verweist nicht nur auf eine Wirklichkeit im Fluss und auf ihre

 Darstellung in einem offenen Prozess, sondern auch auf eine

 Wahrnehmung, die nie an ein Ende gelangt, weil sie sich selbst immer

 wieder neu sieht.


 So wie die Künstlerin in ihrer Formsuche immer wieder innehält und

 ansetzt, dabei möglicherweise täglich neuen Anschauungen folgt,

 betrachten wir Bilder mit wechselnden Blicken und Begehrlichkeiten.

 Multiples Subjekt, parallele Wirklichkeiten, offene Form, endlose

 Schleifen von Bild und Betrachter, das sind die Assoziationen zur

 Gegenwart, die Silvia Brockfelds Kunst aufrufen könnten. Die

 Liniengewebe lassen an das Wirklichkeits- und Denkbild des Rhizoms

 denken, das Linearität und Einheit durch  Umherstreifen und Wandlung

 ablöst. Dabei strebt der Mensch auch im Zeitalter der maximalen

 Differenzierung, Diversität und Vieldeutigkeit, und nicht nur der

 künstlerisch tätige, doch immer nach Formen, mit denen er sich die

 Welt symbolisch aneignen und dem ewigen Wandel wenigstens

 kurzzeitig Dauer und Bestand verleihen kann. Selbst das Informel war

 ja nicht formlos, sondern suchte nach einer neuen Form aus der

 Befreiung von Konventionen, einem neuen Formverständnis zwischen

 Auflösung und Schöpfung, einer neuen Sichtbarkeit angesichts neuer

 Erkenntnisse über die Beschaffenheit von Materie und Denken, aber

 auch von Kunst und Wahrnehmung. Sie spiegelte den Prozess der

 Erfahrung selbst, in dem Dinge Gestalt und Struktur annehmen und

 dadurch Sinn gewinnen. 

 

 Silvia Brockfeld hat in ihrer intuitiven, assoziativen Suche im

 eigensinnigen Bildkosmos zu unbestimmten Formen gefunden,

 die sie in Gestalt von Cutouts freigestellt und in den Raum entlassen

 hat. Sie haben die Farbe abgeschüttelt, um ihre eigenwillige Figuration

 zu exponieren, blütenweiß und reduziert. Und doch werfen die

 amorphen Körper Schatten, die Unbewusstes und parallele Realitäten

 ausleuchten. Rekombiniert halten sie neuen Einzug in die Bilder:

 Malereigeburten, die sich für Momente materialisiert haben, um dann

 wieder durch unsere Imaginationen und Ahnungen zu streifen.

 

 Auch wenn die Wahrheit im Verborgenen und in den Geheimnissen liegt,

 wir brauchen die Kunst, um sie für uns an die Oberfläche zu holen und

 erkennbar zu machen. Um mit Oscar Wilde zu schließen:


"Nur oberflächliche Leute urteilen nicht nach dem Aussehen. Das

 Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare."

 Schauen Sie sich also um!

 Dr. Rainer Beßing 


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Swinging Colours

Rede zur Ausstellungseröffnung von Martin Koroscha, 2017


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Anwesende.

„Swinging Colours“ hat Silvia Brockfeld ihre Ausstellung hier im

 Paritätischen genannt.

„Swingen“, das kennen wir von der Musik, insbesondere einer sehr lebensbejahenden, fröhlichen Musik, dem Swing. Übersetzen kann man „swinging“ auch mit „schaukeln“ und „schwingen“, also bewegten Zuständen.


„Colour“, Farbe, stellt man sich erst einmal als etwas eher festes, fühlbares vor, z.B. als Pigment oder als Farbstoff. Tatsächlich geht es aber bei „Farbe“ nicht um etwas Stoffliches, Materielles, sondern um reflektierendes Licht, das sich dem Auge auf jedem Trägerstoff anders darstellt. So besteht z.B. das uns weiß erscheinende Licht aus dem gesamten Farbspektrum (Prisma). Die von uns wahrgenommenen Farben sind eigentlich unterschiedlich lange Wellen, die schwingen und messbare Wellenlängen haben. Je langsamer diese schwingen, desto „wärmer“ erscheint uns die Farbnuance, je schneller die Schwingung, desto „kühler“ unsere Empfindung für diesen Farbton. Umso leuchtender und greller eine Farbe ist, desto stärker ist ihr Reiz auf unsere Sinne. Deshalb wird beispielsweise das „Rot“ als Signalfarbe eingesetzt.
Manche Blinde können Farben über diese Schwingungen wahrnehmen, fühlen und erkennen. Wissenschaftler vermuten, dass die mit den Farben verbundenen Schwingungen unsere Gehirnstrukturen beeinflussen und deshalb eine so starke Wirkung auf unsere Befindlichkeit haben.

Schwingungen sind sowohl bei der Farbe als auch in der Musik vorhanden und ihre Gemeinsamkeit erkennt man schon bei den Bezeichnungen von Klang- und Tonfarbe in der Musik und Farbklang und Farbton in der Malerei.

So müsste es doch eigentlich möglich sein Musik zu visualisieren, also Musik abbildbar zu machen oder eben Farben hörbar?

Vor der Romantik herrschte die Meinung, dass Musik und Kunst zwei voneinander getrennte Künste seien, die sich nicht vereinen lassen. So behauptete Gotthold Ephraim Lessing im Jahre 1766, dass „die Farben keine Töne, und die Ohren keine Augen“ seien.
Für ihn war die Musik „Zeit-Kunst“, weil sie sich über die Zeit erstreckt und sich erst nach Beendigung des Stücks dem Zuhörer erschließt. Die bildende Kunst dagegen wurde als losgelöst von der Zeit gesehen und war als „Raum-Kunst“ zu verstehen, denn beim ersten Blick prägt sich ein Bild dem Betrachter ein. Sie erstreckt sich im Raum und erschafft Räume mit Hilfe der Perspektive.
Im 20. Jahrhundert wurde diese Trennung der Künste endgültig verworfen, die Synthese der Künste war das Ziel. Vor allem die Meister des Weimarer Bauhauses, u.a. Wassily Kandinsky und Paul Klee träumten von einem Kunstwerk der Gesamtheit. Ihrem Ziel wollten sie vor allem mit Hilfe der Abstraktion näher kommen. So kann die Musik in ihrer Immaterialität als Auslöser der Abstraktion gesehen werden. Diese Anziehungskraft, die die Losgelöstheit von gegenständlicher Bindung auf die Künstler ausübte, endete in der Gegenstandslosigkeit der abstrakten Kunst.
Die polyphone Malerei, also ein mehrschichtiges, gleichzeitiges Geschehen im Bildraum, war Klees Lösung für das Problem. Um die Polyphonie in einem Bild auszudrücken, interessierte er sich vor allem für
1. Linie, die für ihn nicht statisch sondern als energetischer Impuls bzw. eine Bewegungsform gesehen wurde,
2. Rhythmus als Bewegung im Bildraum und Analogie zum Zeitlichen in der Musik, und
3. Farbe, wobei Klee sich bei seinem Farbgebrauch an musikalischen Mustern wie z.B. die Spiegelung orientierte.
Auch Wassily Kandinsky versuchte, mit Hilfe von Farben, Formen und Linien Bilder zu komponieren und unternahm den Versuch bestimmten Farben Klänge zuzuordnen. Für ihn war die Farbe besonders wichtig, da sie die Seele des Betrachters zum Vibrieren bringen kann und so die gleiche Funktion einnimmt, wie der Klang in der Musik.
In seinem Buch „Über das Geistige in der Kunst“ entwarf er seine Farb-Instrument-These. Hierbei ordnet er jeder Farbe eine bestimmte Eigenschaft und Klangfarbe zu, zum Beispiel hat das „Grün“ für ihn die Klangfarbe von ruhigen, gedehnten, mitteltiefen Tönen einer Geige .
Die Eigenschaften von „Grün“ beschreibt er wie folgt: Es ist ruhigste Farbe die es gibt, sie wirkt langweilig und passiv: „Das Grün ist wie eine dicke, sehr gesunde, unbeweglich liegende Kuh, die nur zum Wiederkäuen fähig mit blöden, stumpfen Augen die Welt betrachtet“.
Das lassen wir jetzt einfach mal schmunzelnd so stehen und wenden wir uns nun dem Werk von Silvia Brockfeld zu:

In der Kunst von Silvia Brockfeld finden wir die eben erwähnte Synthese von Musik und Malerei wieder und auch ihr Bildraumgeschehen ist polyphon und abstrakt.
Ihre Bilder entstehen ohne Vorentwürfe und entwickeln sich erst beim Malakt auf der Leinwand im Dialog mit dem Material. Denn die Künstlerin möchte nicht die Realität auf der Leinwand wiederholen, viel mehr lässt sich in ihrer prozesshaften Malerei durch den Einfluss von Hörerfahrungen anregen. Viele einzelne einander gegengesetzte Pinselspuren, die sich mit der Zeit zu einem ganzen verbinden, werden durch das Hören von Musik beeinflusst. Rhythmen, Töne und Melodien von Astor Piazolla, Miles Davis, Philipp Glass u.a. werden von ihr so in dynamische Farb- und Formspiele übersetzt.
So gehören die Arbeiten, hier hinter mir, zu einer neu erstandenen Serie mit dem Titel "Conversation with myself" , die von der gleichnamigen Musik des Jazzpianisten und Komponisten Bill Evans beeinflusst wurden. Mit Hilfe der Mehrspur-Aufnahmetechnik hat Evans 1963 mit sich selbst an drei Klavieren gespielt. Silvia Brockfeld hat sozusagen malerisch mit einem ähnlichen Überlagerungsverfahren gearbeitet und insbesondere dieses Überlagern der verschiedenen Ebenen ist es, was ihre Arbeiten von den Werken Kandinskys und Klees unterscheidet, ohne in Konkurrenz treten zu wollen.
Anders als bei Synästhetikern, wozu auch Kandinsky zählte, hört Silvia Brockfeld aber nicht die Farben oder sieht die Töne, auch benutzt sie keine analytischen Programme. Allein von der Stimmung und Rhythmik der Musik getragen wird sie über Gefühl, Intuition und Assoziation in ihre Malerei geführt.
Ihre Bilder, überwiegend in Öl auf Leinwand in Verbindung mit grafischen Materialien, sind gemalte Netzwerke, deren malerische Verflechtungen einem musikalischen Klangteppich ähneln. Sie bestehen aus unterschiedlichen malerischen Strängen, die sich mal verdichten und einen Hauch von Gegenständlichkeit andeuten, sich anderenorts aber wieder auflösen. Vibrierende Linien durchziehen den Malgrund und durch die in mehreren Schichten angelegte Malerei, entsteht eine Räumlichkeit, in der immer wieder Fragmente von körperlichem, organisch-pflanzlichen auftauchen und doch das Auge frei entscheiden lassen.

Silvia Brockfeld möchte die Betrachter mit ihren Bildern zum Assoziieren anregen und sie mitziehen in den Rhythmus,die Stimmung und die Schwingungen, die von ihnen ausgehen. Seien Sie, sehr geehrte Damen und Herren, herzlich zu diesem Erleben eingeladen und schwingen Sie mit den hier ausgestellten Bildern von Silvia Brockfeld.


Martin Koroscha


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Memory

Rede zur Ausstellungseröffnung von Angela Piplak, 2009

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Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr, heute Abend ein paar einführende Worte zu den Arbeiten von Silvia Brockfeld sagen zu dürfen.

Der Titel der Ausstellung „Memory“ ist längst nicht so eindeutig wie es bei einem ersten Blick auf das identische quadratische Format der Arbeiten scheinen mag, sondern er bietet Raum für weitere Interpretationen. An das Spiel Memory werden sich wohl die meisten von Ihnen als Zeitvertreib verregneter Nachmittage der Kindheit erinnern: Verdeckt ausgebreitete quadratische Karten, auf deren Unterseite sich jeweils zwei identische Motive befinden die in einem Spielzug zusammen aufgedeckt werden müssen. Ein Spiel zum Gedächtnistraining.

Das englische Memory bedeutet Gedächtnis, beziehungsweise Erinnerung, aber auch das Andenken an eine Person oder Ereignis. In den Arbeiten von Silvia Brockfeld stecken nun beide Bedeutungen von Memory: Die Arbeiten im Format 29 x 29 cm mit den unterschiedlichsten Farben, Formen und Motiven, lassen sofort nach Übereinstimmungen wie in einem etwas komplexeren Memoryspiel suchen. Auch die gewählte Hängung erinnert an ein angefangenes Memory Spiel, dessen erste Paare bereits gefunden und zur Seite gelegt wurden.

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Die vielschichtigen Motive, Ausschnitte, Formen und Reihungen lassen hingegen an Gedächtnissplitter und fragmentarische Erinnerungsbilder denken, deren vollständige Geschichte sich der Betrachterin und dem Betrachter nicht erschließt. Über diesen sichtbaren Teil der Bilder hinaus, gibt es einen weiteren unsichtbaren Aspekt: So wie originäre Gedenkorte, Gegenstände und Erinnerungsfotos, sind auch diese Bilder „Behältnisse“ von vielfältigen Erinnerungen, Gedanken und Assoziationen der Künstlerin selbst, die in Farbe und Form ihren eigenen Ausdruck gefunden haben. Mit dem Ausstellungstitel Memory lässt die Künstlerin offen, welche Erinnerungen gemeint sind, ihre eigenen oder die der Betrachtenden – oder Beides.

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Bereits seit dem Jahr 2001 arbeitet Silvia Brockfeld mit dem quadratischen Format. Ursprünglich eher beiläufig eingesetzt als Experimentierfeld für neue Ideen und Techniken, entwickelte sich das Format inzwischen zu einer eigenständigen künstlerischen Werkgruppe, die neben ihren großformatigeren Werken einen ganz eigenen Platz behauptet. Die Künstlerin nimmt diese Form immer wieder auf und interpretiert sie neu. Entstanden ist so im Laufe der Jahre eine umfangreiche Serie, aus der heute nun ein Ausschnitt präsentiert wird. Die ursprüngliche Idee des Experimentierens mit Farbe, Form, Fragment, Material und künstlerischer Technik hat Sylvia Brockfeld aber nicht aufgegeben, sondern sie findet sich in allen hier präsentierten Arbeiten wieder. Aus jedem der Quadrate spricht eine eigenständige Herangehensweise an das entstandene Werk.

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Eine durchaus „resourcenschonende“ Arbeitsweise können sie beispielsweise auf dem Bild unten links auf dem Flur sehen. Das gezeigte Fragment ist ein Ausschnitt aus einer größeren Arbeit, wobei das Wort Ausschnitt wörtlich zu verstehen ist: Arbeiten, die dem äußerst strengen Urteil der Künstlerin nicht oder nicht mehr genügen, werden zerteilt und die Fragmente mit Kleister auf MDF Platte geklebt. Diese Form des „Bildrecyclings“, wie man es nennen könnte, führt zu einer völlig neuen Bildidee, in der das vormalige „bigger picture“ als abstraktes Geheimnis enthalten bleibt

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Das Ausschnitthafte und Fragmentarische zieht sich durch alle Arbeiten und ist verbindendes Element– unabhängig davon, ob Silvia Brockfeld gegenständlich oder abstrakt malt, unabhängig davon welche Materialien sie verwendet und unabhängig davon, ob das Motiv aus einem größeren Bild herausgelöst oder die Bilder in dem vordefinierten Format entstehen. Bildträger all ihrer Arbeiten ist grundierter Nesselstoff. Die meisten Arbeiten sind Misch-techniken auf der Grundlage von Acrylfarbe, nur einige wenige Bilder sind in Öl gearbeitet und vereinzelt finden sich auch Collagen aus verschiedenen Materialien, wie die grün gehaltene abstrakte Arbeit dort drüben neben der Bürotür, in der die glatte Oberfläche des Nesselstoffs durch zerknittertes Papier konterkariert wird.

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Ausgangspunkt vieler Arbeiten sind selbst aufgenommene Fotos. Das Spektrum reicht von alten Familienaufnahmen bis zu den Ergebnissen fotografischer Streifzüge des vergangenen Sommers. Orte der flüchtigen Begegnungen wie Biergärten, Flohmärkte oder Feste finden sich ebenso wie dekorierte Schaufenster, Szenen aus Vergnügungsparks und von Sonntagsspaziergängen. Einige Fotos wurden am Computer verfremdet und dann gemalt. Aus anderen wurden lediglich Ausschnitte gewählt oder ganze Szenen aus dem ursprünglichen Kontext gelöst.

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Trotz der eingesetzten Verfremdungen werden die Proportionen der gezeigten Protagonisten beibehalten, wie am Bild der zwei schwarzgekleideten Frauen in Rückansicht zu sehen ist. Das Foto, aufgenommen im Café Sand, zeigt die zwei Frauen scheinbar im Gespräch. Erst auf den zweiten Blick wird eine dritte Frau mit Sonnenbrille im Halbprofil sichtbar, die, am gleichen Tisch sitzend, sich in Kommunikation mit der blonden Frau befindet, während die dunkelhaarige Frau eine Reihe vor den Beiden sitzt. Lediglich die gewählte Perspektive und der Bildausschnitt ergeben eine völlig neue Konstellation der drei Protagonistinnen zueinander und damit eine neue erzählerische Ebene.

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Das Bild der - nun drei Frauen- verdeutlicht noch einen weiteren roten Faden in der Arbeit von Sylvia Brockfeld. Die Protagonisten in den gegenständlichen Arbeiten sind stets in Rückansicht oder in Halbprofil mit verdeckten Augen dargestellt: Die Menschen bleiben so fremd und geheimnisvoll. Sie wenden sich vom Betrachtenden ab und erzeugen dadurch Distanz. Die Rückansichten erzeugen darüber hinaus ein latentes Unwohlsein darüber, in die Rolle des Voyeurs gedrängt zu werden.

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Die Farben grün, gelb und rot, in einer Vielzahl von Schattierungen ist eine weitere Komponente, die sich durch viele Arbeiten der Künstlerin zieht. Pastelltöne stellen eher eine Minderheit dar, führen aber zu kräftigen Ergebnissen, wie im Sitzungszimmer an dem Landschaftsidyll mit Kühen zu sehen ist

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Neben den Bildern mit Personen findet sich eine Reihe ebenfalls gegenständlich gehaltener Stilleben. Auch hier ist die Bandbreite der gewählten Motive enorm. Zu sehen sind Tauf- und Kinder-kleidung in einem Schaufenster Flohmarkttische, bestückt mit Akkordeon oder ein Arrangement mit edlem Hummer in leuchtendem Rot, dessen Vorlage aus einem Kochbuch der 60er Jahre stammt. 

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Nicht nur die gegenständlichen, auch die auf dem ersten Blick abstrakt gehaltenen Arbeiten haben durchaus reale Vorlagen. Vielfach bewegen sie sich zwischen Figuration und Abstraktion. Nicht immer ist eine eindeutige Trennung möglich. Zwischen dem üppig wuchernden Rankwerk, Fäden und ornamentgleichen Elementen blitzen immer wieder vorgefundene Formen aus dem Fundus des Ateliers der Künstlerin auf. Aufgenommen werden die Umrisse einer mitgebrachten Diestel, ebenso wie der halb gefüllte gelbe Sack. So entstehen florale Formen, sorgfältig arrangierte Farbfelder, Farbschlieren und Überlagerungen.

 

Neben den farbenprächtigen Arbeiten fallen gedecktere Arbeiten in dunklen Brauntönen auf. Diese sind Ergebnisse der Versuche von Sylvia Brockfeld, aus dem nicht gerade bunten Bremer Boden Erdpigmente herzustellen, die mit Caparolbinder vermengt als Farbe dienen. In diesen Bildern standen zunächst die Linien fest auf deren Grundlage Flächen und Kontraste entstanden. Hier arbeitet die Künstlerin frei von Vorlagen assoziativ und lässt die Bilder so wachsen und reifen.

 

Dieses Moment des „Entstehenlassens“ führt zu einem letzen bemerkenswerten Punkt in der Arbeitsweise von Sylvia Brockfeld. Das Format der Arbeiten mit dem vorgegebenen Maß von 29 x 29 cm. Das Quadrat hat im Gegensatz zum Hoch- und Querformat keine eindeutige Ausrichtung. Während das Hochformat Unruhe erzeugt, das Querformat eher ruhig auf dem Betrachter wirkt, verhält sich das Quadrat absolut neutral. Dieser neutralen Ausrichtung kommt gerade in den abstrakten Kompositionen von Sylvia Brockfeld eine besondere Bedeutung zu. Andere Arbeiten, nicht nur die mit Erdpigmenten, entstanden ebenfalls gänzlich ohne bildnerische Vorlage. Sie entstandenen Schritt für Schritt durch Einsatz verschiedener Farben und Materialien wie Blei- und Buntstift, Wachsstift, Kreide und Rötel. Die Ausrichtung des Bildes steht anders als beim klassischen Hoch- oder Querformat zunächst nicht fest, sondern bildet sich erst im Laufe des Entstehungs-prozesses heraus. Bis diese Eindeutigkeit herausdestilliert ist, wird das Bild mehrfach gedreht und in dieser Position weiterbearbeitet. Durch dieses Vorgehen entsteht eine spezifische Offenheit und Leichtigkeit der Komposition, wie sie für Silvia Brockfelds Arbeit typisch ist.

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Ich hoffe, ihnen einige Hinweise auf die Bilder von Silvia Brockfeld gegeben zu haben und wünsche ihnen nun ganz viel Spaß bei ihrer Paarfindung des Memorys.

 

Angela Piplak


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Koloraturen

.Rede zur Ausstellungseröffnung von Barbara Figge, 2014 .

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Ich begrüße Sie alle ganz herzlich hier in der Galerie „Kunstmix“ zur Ausstellung Koloraturen von Silvia Brockfeld. Die Arbeiten sind in etwas mehr als einem Jahr entstanden. Verschiedene Werkgruppen aus diesem Zeitraum sind hier kombiniert, die jede unter einem eigenen Thema stehen, aber auch vieles gemeinsam haben. Der Titel der Ausstellung, Koloraturen, geht aus dem Namen einer Reihe von Arbeiten hervor, die einen Teil der Ausstellung ausmachen; der Begriff Koloraturen eröffnet aber auch einen Blick auf die anderen Bilder. 

1. Die Farbe, die Töne

Koloratur - spontan kann man sie direkt dem Bild zuordnen: „color (colour, coleur, colore)“ - in vielen Sprachen die Farbe; der Begriff findet sich wieder im „Kolorit“ - in der Farbgebung, in „Kolorismus“ - der Malerei, die sich der Farbe als oberstem Gestaltungsmittel bedient (wie z.B. die Impressionisten). Doch die eigentliche Verwendung findet der Begriff „Koloraturen“ in einer anderen Kunst, in der Musik: Ko|lo|ra|tur, die; virtuose gesangliche Verzierung, wie der Duden angibt, bzw. die „Ausschmückung und Verzierung einer Melodie mit einer Reihe umspielender Töne“.

Am ehesten zu finden ist dies in der Oper, vorrangig in den Arien weiblicher Solistenstimmen, die ihre Kunst in vibrierenden, Klänge umrankenden Tonfolgen beweisen. Dabei betreiben sie mit ihrem Instrument, der Stimme ein Spiel, das erlaubt, sich innerhalb der Komposition von der vorgegebenen Melodie zu lösen.

2. Rückübersetzt in die Malerei

gibt es auch malerisch das Spiel mit einer Grundkonstante: Hier umspielen nicht Klänge eine Melodie, sondern Farbtöne eine das Bild beherrschende Farbe, indem sie Varianten ins Lichthelle und ins Dunkel-Düstere entwickeln. Und die Farben umspielen nicht nur einander, sondern auch das Gerüst aus Linien und linearen Formen, lassen es zurücktreten und doch besteht es als Teil des Spiels weiter.

In der Serie „Koloraturen“ waren Silvia Brockfelds Ausgangspunkte großformatige Arbeiten, die sie in kleinere Leinwandflächen zerteilt hat. Die Fragmentierung eines Bildes in mehrere, kleinformatige erzeugt eine „neuartige und überraschende Ausgangssituation“ und eine „neue Einfachheit in der Bildkomposition“, so S.B., sie lässt eine Bearbeitung zu, die das vorhandene Thema der Arbeiten fortsetzt, varriiert und umspielt - also koloraturenhaft mit dem vorher entwickelten Grundthema umgeht. Dieses Grundthema bleibt erhalten und schafft die Verbindung der Arbeiten in ihrer Formensprache; aus der Wiederholung und im Abweichen vom Grundton erwächst die Spannung der Arbeiten. Eine Komposition parallel zur Musik, die nicht unmittelbar der gehörten Musik folgt, aber sich ihrer erinnert.

Die ungleiche und doch sich wiederholende Formenwelt bildet  Rhythmen.  Aus malerischer Bewegung und Gegenbewegung werden - gleich musikalischen Rhythmen - rhythmisierte Linien, das „Liniengerüst“ wird, so sagt S.B., zur „Grundlage für die Entstehung der schwebenden Formen und der Gesamtkomposition“. Die Komposition, so in „The Swing“, schafft Formen, die für sich wirken: Kräftig, sanft, kleinteilig, unruhig, gelassen, explosiv, mäandernd, suchend, triumphierend, leuchtend, zurückhaltend, hervorspringend und zurücktretend. Das gefährliche Schillern hat seinen Kontrast im starken, ruhig begleitenden umspielenden, spülenden Türkisblau; Räume lösen sich im weißen Licht auf, aus schwarzen Konturen wachsen kraftvolle Farben.  Man betrachtet das Bild mit einer Ahnung von Dingen, die einem begegnen könnten. Sind es kleine Tiere, Käfer, Insekten und sich rankenden Pflanzen? Oder die künstlichen, changierende Lichter einer Stadt? Die Motive werden gegenständlich nicht ausformuliert, im Malen aber klingen sie an. Man ahnt eine Bilderwelt. - So, wie vom Traum das Gefühl des Erlebten bleibt.

3Das Immaterielle // The Swing

Wie beim Hören von Musik lösen die (Farb-)töne, die Linien und Flächen Gefühle und Vorstellungen aus, hinterlassen einen Eindruck. Die Loslösung der Malerei vom abzubildenden Gegenstand geht einher mit der Idee, den Betrachter zu erreichen, indem die Malerei den eigenen Gesetzen und der Kraft des unmittelbaren Ausdrucks der künstlerischen Mittel vertraut. Kandinsky spricht vom „inneren Klang“  des Bildes, der, ungefiltert vom Gegenständlichen, auf den Betrachter einwirkt. Beim Betrachten bedeutet dies: Dem raschen Auffassen einer Gesamtstimmung im Bild, einer unmittelbaren Wirkung folgt ein Einstieg in das Zusammenwirken der Formen und Farben ohne das sichere Geländer einer bekannten gegenständlichen Welt.

4. Traum // Luzider  Traum                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Besonders der Titel „Luzider Traum“ verweist auf die Möglichkeit von Gegenständen, vielleicht sogar Figuren: Beim Umherstreifen durch den Bildraum scheinen sie auf - und verschwinden wieder. Sie sind nicht manifestierbar und führen ein Leben unter der Oberfläche, die nur assoziativ Fetzen von Dingen zeigt. Wie in der Freudschen Traumdeutung verdichten sich verschiedene Ereignisse und Gegenstände zu einem Bild, sie verschieben sich, vielleicht ist die Blüte ein Verweis auf noch etwas Weiteres? Vielleicht vereinen/verdichten sich in einer Form zwei Dinge? Wie bei der écriture automatique, in der die Surrealisten in freien Wortassoziationen vermeintlich sinnfreie Poesien schufen, um sich einen Zugang zu eigenen unbewussten Bildern zu schaffen, ist hier eine „peinture automatique“, eine ungeplante Malerei, die keine Skizzen braucht, die Malgrundlage; daraus leitet Silvia Brockfeld im Malprozess Bildassoziationen ab, entzieht diese dann aber dem Betrachter wieder, um Nebenprodukte des automatischen Malens zu betonen - als eine eigene Sprache einer eigenen Welt

5. Zeit vs. Raum // Die Prozedur

Musik: verläuft in der Zeit, es gibt eine festgelegte Reihenfolge, geplante Gleichzeitigkeit, gewollte Pausen und Verzögerungen, der Takt gibt der Musik Struktur. Im Bild ist die Zeit enthalten sowohl in Prozess der malerischen Produktion als auch in der Rezeption; der Verlauf der Zeit begleitet die kaum steuerbare Wahrnehmung. Die Malerin folgt beim Malen den entstehenden Formen, löst sie auf, verbindet sie in einem assoziativen, hoch konzentrierten Prozess, immer das ganze Bild im Auge, vom Zentrum aus entwickelt sich ein Geflecht, hervorhebend und verschleiernd. Mal wechselt auch die Ausrichtung. Wenn Sie nun die Bilder betrachten, folgen Sie ihren eigenen Seh-Wegen, denn:

6. Finale Lesart

Koloratur: Kommt von colorare „färben; Farbe, Schwung geben; aus- schmücken“. Dies ist als Anleitung zu verstehen: Der Farbe, den Formen und ihrem Schwung (vertrauensvoll) zu folgen, (sich von ihr hochreißen  und auch niederdrücken zu lassen,) ihr mit- und nachzugehen wie dem Klang von Instrument und Stimme. Dabei: Ist das Ausspinnen erwünscht - Lassen Sie Bilder entstehen, machen Sie Entdeckungen, lassen Sie sie verblassen zugunsten anderer, sie umspielender (Bild-)Töne. Viel Vergnügen dabei!

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Barbara Figge

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